Regelmäßig stellen wir unseren Experten drei Fragen zu aktuellen Themen, die stark diskutiert werden und in der Beratungspraxis hohe Relevanz haben. Diesmal haben wir Andreas Knaup gebeten, die Situation rund um Distressed M&A einzuschätzen.
Herr Knaup, Studien, ganz aktuell die des Wirtschaftsprüfers Deloitte, sagen eine Zunahme von Distressed M&A für die kommende Zeit voraus. Wie sehen Sie den Transaktionsmarkt in Coronazeiten?
Distressed M&A-Transaktionen erfolgen ja per Definition immer aus der der Krise, also entweder vorinsolvenzlich oder aus der Insolvenz heraus. In Zeiten von Corona sehen wir allerdings im Vergleich zu den Vorjahren eine deutlich geringere Anzahl von Insolvenzen. Das klingt paradox: Gerade in der Corona-Krise, in der viele Unternehmen in eine Schieflage geraten sind, würde man mit einem deutlichen Anstieg von Insolvenzanträgen rechnen.
Fakt ist aber, dass die Insolvenzantragspflicht bis zum 30.04.2021 über ein Jahr für eng definierte Fallkonstellationen ausgesetzt war. Bei vielen Unternehmen entstand der Trugschluss, dass die Insolvenzantragspflicht generell aufgehoben sei. Des Weiteren stehen den Unternehmen seit Beginn der Krise zahlreiche liquiditätsstützende Instrumente und Coronahilfen zur Verfügung. Somit besteht aufseiten der Unternehmen auch deutlich weniger Handlungsdruck auf der Eigenkapitalseite bzw. für die Suche nach neuen Gesellschaftern mit frischem Eigenkapital. Gerade in Branchen, die nicht oder kaum von der Pandemie betroffen sind, ist die Anzahl an Insolvenzen stark rückläufig. In Summe sehen wir daher wenige interessante Targets im Angebot, aber viele kaufwillige Interessenten. Die Frage wird sein, wie lange wir noch in diesem Zustand verharren.
Es scheint so, dass auch Transaktionen und Nachfolgeregelungen selbst in denjenigen Branchen verschoben werden, in denen es wirtschaftlich gut läuft. Hier dürften hohe Kaufpreiserwartungen eine Rolle spielen, also die Befürchtung, sein Unternehmen in der Krise unter Wert zu verkaufen. Man kann erwarten, dass sich eine Welle aufbaut. Wann, in welcher Stärke oder ob diese häufig zitierte Welle allerdings kommt, bleibt aus meiner Sicht die große Unbekannte.
Sehen Sie, dass neue Player in den Markt drängen? Hier wird viel von den Family Offices gesprochen. Was könnten deren Beweggründe sein?
Uns erreichen sehr häufig Anfragen von Investoren nach Unternehmen in der Krise. Die Risikobereitschaft auf der Investorenseite ist sehr unterschiedlich. Einige Interessenten wollen nur in ein bereits saniertes oder „gesundes“ Unternehmen einsteigen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, denen Unternehmen mit einem negativen Cashflow bei der Übernahme am liebsten sind. Family Offices scheinen bei Krisenfällen eher zurückhaltender als andere Investorengruppen. Bei spezialisierten Distressed Fonds dagegen ist die Bereitschaft in den letzten Jahren zunehmend gestiegen, sie gehen höhere Risiken als in der Vergangenheit ein. Sie trauen sich selbst oder mit Partnern zu, die Krise zu bewältigen und ein Unternehmen neu auszurichten.
Sicher hoffen viele Investoren insbesondere in den Zeiten der Krise sowie jetzt in der Pandemie auf einen guten Deal, ein „Schnäppchen“. Somit ist das Verhalten in gewisser Hinsicht opportunistisch. Familiengesellschaften haben sich über viele Generationen verzweigt und somit gesellschaftsrechtlich verändert. Diese nicht zwingend unternehmerisch orientierten „Erbengemeinschaften“ suchen nach neuen Anlageformen. Der Erwerb von Gesellschaften und Beteiligungen sind dabei denkbare Alternativen.
Die ersten vorinsolvenzlichen Sanierungen nach StaRUG tauchen in der Presse auf. Wird die vorinsolvenzliche Sanierung ein neuer Treiber für M&A-Prozesse?
Leider ist das Stigma der Insolvenz in Deutschland immer noch enorm. Somit hat der Gesetzgeber gut daran getan, neben der insolvenzrechtlichen Sanierung eine außerinsolvenzliche Restrukturierung zu ermöglichen. Wir haben bereits viele Unternehmen bei der Restrukturierung und Neuausrichtung unterstützt. Das Gespräch mit den wesentlichen Gläubigern ist immer einer der ersten Schritte im Prozess. Genau hier liegt der Knackpunkt des neuen Verfahrens. Die Trennung in Gläubigergruppen, die Sanierungsbeiträge leisten sollen und denjenigen, die „verschont“ bleiben, birgt die Gefahr, dass Teile der erstgenannten Gläubigergruppe den Weg möglicherweise nicht mitgehen. Ein Manko, das der Insolvenzplan im Eigenverwaltungsverfahren umgeht. Das StaRUG-Verfahren erscheint komplexer und beratungsintensiv. Es wird interessant zu beobachten, ob und inwieweit das neue Verfahren ein Treiber für M&A-Prozesse sein wird.
Andreas Knaup ist Geschäftsführer der TMC Turnaround Management Consult GmbH sowie der Tochtergesellschaft, der CVM Capital Value Management GmbH. Er begleitet als Restrukturierungsexperte Unternehmen in der Krise und Distressed M&A-Transaktionen von Unternehmen in den Segmenten Erneuerbare Energien, Automotive, Handel, Erneuerbare Energien, Healthcare sowie im Lebens- und Futtermittelbereich.